- Maginot-Linie: Höhepunkt und Schlussetappe des Festungsbaus
- Maginot-Linie: Höhepunkt und Schlussetappe des FestungsbausDa im Ersten Weltkrieg der deutsche Angriff bis tief nach Frankreich hineingetragen werden konnte, entschlossen sich die Franzosen in den 20er-Jahren zu einer gigantischen Festungsbau-Maßnahme, der Maginot-Linie. Als sie 1936 fertig gestellt war, bedeutete sie den Höhepunkt der bisherigen Festungsbauten. Allerdings sollte sich schon beim deutschen Angriff im Juni 1940 zeigen, dass die Sparmaßnahmen, die wegen der überbordenden Kosten dazu geführt hatten, dass viele Bereiche nicht gebaut wurden, diese Festungslinie entscheidend geschwächt hatten. Dazu kam die rasante Entwicklung der Angriffswaffen, die solche Festungsbauten als Anachronismus erscheinen ließen.Erfahrungen aus dem Ersten WeltkriegFrankreich hatte im Ersten Weltkrieg die Erfahrung gemacht, dass der deutsche Angriff im Jahr 1914 erst im letzten Augenblick und tief im Landesinneren gestoppt werden konnte. Danach hatte es dann über vier Jahre einen erbitterten Stellungskrieg gegeben mit Millionen von Toten und vielen bis auf die Grundmauern zerstörten Dörfern. Nach dem Ersten Weltkrieg diskutierte man deshalb in Frankreich über den Weg, wie so etwas in Zukunft vermieden werden könne. Es standen sich zwei Militärdoktrinen gegenüber. Dabei sahen General Foch und seine Anhänger die beste Möglichkeit darin, beim ersten Anzeichen von Feindseligkeit an der französischen Grenze aufzumarschieren, um den Krieg notfalls ins Nachbarland zu tragen. Die andere Seite, unter Führung von General Pétain, vertrat die Auffassung, dass Frankreich nur durch die Befestigung seiner Grenzen vor einer zukünftigen Invasion sicher sei. Es stand also wieder einmal Offensive gegen Defensive.Defensive FestungsstrategieAus drei Gründen setzten sich schließlich die Vertreter der (defensiven) Festungsstrategie durch: Zum einen waren so die Grenzgebiete vor einem Überraschungsangriff der Deutschen geschützt. Ein nachfolgender Stellungskrieg mit Materialschlachten würde sich zudem nicht im Kernland abspielen. Zum Zweiten glaubte man eine zahlenmäßige Unterlegenheit aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge gegenüber Deutschland durch die Befestigungsanlagen ausgleichen zu können. Zum Dritten hatten sich im Ersten Weltkrieg die alten Forts von Verdun — die nur provisorisch ausgebaut worden waren — zwischen 1916 und 1918 gut bewährt. Deshalb erwartete man von modernen, bestens ausgerüsteten Festungsbauten umso mehr. Am 31. 12. 1925 rief der damalige Kriegsminister Paul Painlevé eine »Kommission zur Verteidigung der Grenzen« ein, die bereits elf Monate später ein Ergebnis vorlegen konnte. Sie sprach sich dabei gegen das Prinzip »Chinesische Mauer« aus, also gegen eine durchgehende Festungslinie an der deutsch-französischen Grenze. Vielmehr schlug die Kommission vor, schwerpunktmäßig nur die Stellen auszubauen, die einen feindlichen Angriff begünstigten.Sie sah drei Festungsgebiete (régions fortifiées) vor: Das Festungsgebiet Metz zur Deckung des Moseltals und der lothringischen Eisenerzgebiete, ferner das Festungsgebiet Lauter gegen einen deutschen Angriff zwischen Saar und Rhein sowie das Festungsgebiet von Belfort zur Sperrung der Burgundischen Pforte. Das Grundkonzept ging davon aus, dass diese drei Festungsgebiete einen möglichen deutschen Überraschungsangriff so lange aufhalten sollten, bis die Mobilisierung des französischen Heeres abgeschlossen war. Dann sollte das Feldheer den Kampf auf sich ziehen, aus der Verteidigungsstellung zum Angriff übergehen und den Krieg möglichst ins Land des Aggressors tragen, um dort die Entscheidung zu suchen. Die Festungsanlagen sollten dann nur noch eine untergeordnete strategische Bedeutung haben, lediglich als Ausgangsbasis für den Gegenangriff und zur Sicherung der Flanken. Aus diesem Grund war geplant, zwischen den drei Festungsgebieten entweder nur schwache Befestigungsmaßnahmen vorzunehmen (wie an der Rheinfront) oder gar nicht zu befestigen (wie gegenüber dem deutschen Saargebiet). Vor allem war an der französischen Nordgrenze zu Belgien keine Befestigung vorgesehen. An diesen Stellen erwartete man keinen Überraschungsangriff der Deutschen, sodass man davon ausging, dass hier das französische Heer genügend Zeit zum Aufmarsch und zum Ausbau der Stellungen haben würde.Offizielles Verteidigungskonzept und BaubeginnDas Ergebnis der Kommission wurde am 12. 10. 1927 vom obersten Kriegsrat angenommen und somit zum offiziellen Verteidigungskonzept. Im selben Jahr wurde eine Nachfolgekommission eingesetzt, die »Kommission zur Organisation der Festungsgebiete«, die sich an die Detailplanung machte, um die genaue Linienführung festzulegen, die Konstruktionsmerkmale, Normen, die Art der Bewaffnung und die Ausarbeitung der einzelnen Werkspläne. Schließlich war die Kommission auch mit der Überwachung der Bauausführung beauftragt. Das notwendige Gesetz wurde als Fünfjahresplan im Jahr 1930 beschlossen und nach dem mittlerweile amtierenden Kriegsminister André Maginot, einem Veteran und Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs, als Maginot-Linie bezeichnet.Schon vor der Annahme des Gesetzes war im November 1929 der Bau der ersten drei Großwerke angefangen worden. Kurze Zeit später wurde mit dem Bau der anderen begonnen, und im Jahr 1930 reihte sich im Grenzgebiet des Elsass und Lothringens Baustelle an Baustelle. Damit war natürlich eine Geheimhaltung nicht mehr möglich und die Deutschen betrachteten interessiert das Vorgehen der Franzosen. Nach nur drei Jahren Bauzeit war im Jahr 1933 der Großteil der Bauten im Rohbau fertig gestellt. Man arbeitete rund um die Uhr in mehreren Schichten. Wälder wurden abgeholzt und Hügel versetzt.Bereits im Jahr 1936 konnte die Maginot-Linie als im Großen und Ganzen einsatzbereit gelten, denn zu diesem Zeitpunkt waren die technische Ausrüstung, die Bewaffnung und die Einrichtung installiert. Allerdings wurde ein entscheidendes Problem immer deutlicher, das nichts mit der Bewältigung der technischen Schwierigkeiten zu tun hatte: Schon bald nach Beginn der Bauarbeiten war klar geworden, dass die bewilligten Gelder nicht ausreichen würden. Das hatte vor allem drei Gründe: Zum einen hatte man mit 3 760 Millionen Francs eine viel zu niedrige Summe für die Baukosten errechnet. Zudem waren von diesem Betrag durch das Parlament nur 2 900 Millionen Francs genehmigt worden. Und schließlich hatte die Inflation Anfang der 30er-Jahre den Wert auch dieser Summe noch stark gemindert.So gab es nur einen Ausweg aus der Finanzierungskrise: Der Bauumfang musste verringert werden. Deshalb verzichtete man schließlich auf das Festungsgebiet von Belfort, bei den anderen Festungsanlagen wurde die zweite Linie, die dazu vorgesehen war, dem Festungskampffeld die Tiefe zu geben, ebenfalls nicht gebaut. Da aber auch so die Streichungen noch nicht ausreichten, wurde auch an der ersten Linie gespart. Vom Kampfblock über den Artilleriebunker bis hin zum Panzerturm wurde auf alles verzichtet, was irgendwie entbehrlich erschien. Wie rigoros gespart wurde, zeigen noch heute viele Blindstollen, die unvollendet blieben und von weitaus größeren Plänen zeugen. Lediglich der Kern des Festungsgebietes Metz konnte fast ohne Einschränkungen fertig gestellt werden, an allen anderen Bereichen wurde teilweise so stark gespart, dass sie Stückwerk blieben oder große Schwachstellen aufwiesen, wie sich dann beim deutschen Angriff im Juni 1940 auf für die Franzosen verhängnisvolle Weise zeigen sollte.Das Ergebnis des BauprogrammsDas Ergebnis des CORF-Bauprogramms war trotz aller Streichungen immer noch eindrucksvoll. Insgesamt wurden nämlich 108 Festungswerke errichtet, mit 500 unterirdisch zugänglichen Bunkern. Dazu kamen 152 versenkbare Panzertürme und 345 Festungsgeschütze. Die unterirdischen Stollen dürften eine Gesamtlänge von über 100 km gehabt haben. Zur Maginot-Linie gehörten zudem 413 schwere Einzelbunker im Zwischengelände sowie Munitions- und Vorratslager, Schmalspur-Versorgungsbahnen, Kasernen, unterirdische Starkstromverbindungen, ein eingegrabenes Festungstelefonnetz, Hindernisse, Militärstraßen und vieles andere mehr. Die Maginot-Linie, erbaut in nur fünf Jahren, war Höhepunkt und gleichzeitig auch das Ende der modernen Festungsarchitektur, denn aufgrund der rasanten technischen Entwicklung hatten die Angriffswaffen schon sehr bald den Wettlauf gegen die Festungsbauten gewonnen. Im Zweiten Weltkrieg ging zudem die französische Erwartung, dass von der belgischen Grenze Frankreichs kein deutscher Angriff zu erwarten wäre, durch die deutsche Verletzung der Neutralität der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs nicht auf; hierdurch wurde die Maginot-Linie von den deutschen Truppen umgangen, die drei Tage nach der Einnahme von Paris die Schweizer Grenze erreichten und damit die französischen Ostarmeen in der Maginot-Linie einschlossen.Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Befestigungssystem in seiner eigentlichen Funktion nicht mehr genutzt. Die militärische Geheimhaltung, die die Maginot-Linie lange Zeit umgab, die vielfältigen unterirdischen Anlagen, Ausstattung und die Bewaffnung erwecken auch heute noch vielfältiges Interesse. Reste der ehemaligen Befestigungsanlagen sind wie das Werk Schoenenburg und die Kasematte Esch im Elsass heute touristisch erschlossen.Jean-Bernard Wahl: Die Maginotlinie. Damals und heute. Aus dem Französischen. Hamburg 2000.
Universal-Lexikon. 2012.